Supervision als Antwort auf die Dilemmata professioneller Beziehungsarbeit

Supervision in Sozialarbeit und Psychotherapie entstanden, um die direkte Arbeit mit Klienten professionell abzusichern. Inzwischen wird sie auch von Lehrern, Erwachsenenbildnern, Trainern, Beratern, Wissenschaftlern Ärzten, Pflegekräften, Rechtsanwälten, Justizmitarbeitern und Seelsorgern nachgefragt. Diese Nachfrage entsteht, weil die hier ausgeübte Beziehungsarbeit äußerst fragil ist. Sie ist durch unvermeidbare Widersprüche gekennzeichnet, die aus gleichwertigen Gegensätzen bestehen und als dialektische Widersprüche aus ein und demselben sozialen Prozess resultieren. Beziehungsarbeiterinnen und Beziehungsarbeiter haben es unvermeidlich unter anderem mit folgenden Antinomien zu tun:

Identifikation vs. Differenz:

Der Beziehungsarbeiter muss sich mit dem Klienten identifizieren, um dessen Lage, dessen Interessen, dessen Problematik erkennen und erspüren zu können. Er muss sich aber auch von ihm unterscheiden, um nicht vereinnahmt zu werden und noch eine fachliche Einschätzung gewinnen zu können.

Engagement vs. Gleichgültigkeit:

Um die Mitarbeit des Klienten zu gewinnen, muss Beziehungsarbeiter sich mit ihm verbünden und sich für ihn einsetzen. Auf der anderen Seite verdient er mit dieser Arbeit sein Geld. Ob das nun mit diesem oder mit jenem Klienten geschieht, kann ihm gleichgültig sein.

Mitmachen vs. Abgrenzung:

Der Beziehungsarbeiter muss also ein Stück am Leben seiner Klienten teilnehmen. Um sich jedoch selbst nicht zu überfordern und auszubrennen, muss er sich jedoch auch genügend abgrenzen und seine Klienten gegebenenfalls im Stich lassen.

Unterstützung vs. Kontrolle:

Wenn der Beziehungsarbeiter für eine Organisation tätig ist, muss er die Unterstützung seiner Klienten immer auch mit Kontrolle verbinden: Sein Einsatz muss sich rechnen (Effizienz) und in irgendeiner Weise das Ziel der Anpassung an gesellschaftliche Normen verfolgen (Effektivität).

Vertrauensvorschuss vs. Skepsis:

Der Beziehungsarbeiter muss eine Verbesserung der Lage des Klienten für möglich halten und darauf vertrauen, dass der Klient Kräfte entwickelt, an dieser Verbesserung mitzuarbeiten und sie auch zu sichern. Andererseits weiß er aber auch, dass das Vertrauen in vielen vergleichbaren Fällen enttäuscht wurde.

Umfassende vs. kategoriale Sicht:

Er wird zunächst tätig, weil eine Problematik vorliegt, die seinen Einsatz fachlich und rechtlich rechtfertigt. Der Beziehungsarbeiter muss also die Problematik auf bestimmte vorgegebene Kategorien reduzieren. Um aber unterstützen zu können, ist oft eine umfassendere Sicht notwendig, sodass das Zusammenspiel von belastenden wie entlastenden Faktoren angemessen eingeschätzt werden kann.

Die Ausbalancierung dieser Gegensätze geschieht aber in einer intimen „face-to-face“-Situation, die kaum von außen kontrollierbar und damit auch nicht direkt evaluierbar ist. Hier können schnell von Seiten des Professionellen Fehler gemacht werden, sodass die Würde des Klienten verletzt und ihm die nötige Hilfe vorenthalten wird. Auch kann sich der Beziehungsarbeiter zu sehr verausgaben, sodass er nicht mehr effizient und effektiv genug arbeitet. Supervision wurde entwickelt, um eine angemessene Balancierung dieser Antinomien in einer vertrauensvollen Beziehung zu gewährleisten. Genau diese Arbeit ist die Kerntätigkeit der Supervision.  Sie ist unverzichtbar und kann durch nichts ersetzt werden.

Holger Seibert - Supervision, Coaching und Gruppenberatung, Thema Supervision